Ikaros landet - eine mythologische und eine zeitnahe Seite

Die modernen Ikarosse
alleinerziehend - innere Not - Ein Nest ist ein Nest, weil es Grenzen hat - Modelllernen - Gewalt ist ein temporäres Phänomen
Opfern können sich Männer perfekt
- Alltag ist nicht grau - Hinterfotzigkeit

Was kennzeichnet einen Muttersohn?
Es gibt Jungen, die „oszillieren“ - Das für uns Überraschende ...

Arbeitswelt versus Lebenswelt
Die technischen Entwicklungen -feministische Diskussionen - patria potestas

die gesellschftliche Situation verändert sich grundlegend
körperliche Gewalt - Sind Jungen weniger schutzbedürftig als Mädchen? - Aufmerksamkeitsdefizit - "Ich schenke Dir mein Herz"
Migranten - Wurzellosigkeit - emotionale Panzerung - Aussengerichtetheit unserer Gesellschaft

Was bedeutet das Fliegen des Ikarus
Alte Rollenbilder
- Karrierebahn - selbst - bewußt - sein

Migranten -Ihre Kinderseele sitzt noch im Sandkasten - Alltag bedeutet - Schieß doch Kaufhaus!

Ikaros muss nicht sterben

   
 

Die mythologische Geschichte

"... und Dädalus hatte einen Knaben, namens Ikaros. Dieser stand neben ihm und streckte seine Hände neugierig nach der künstlerischen Arbeit des Vaters. ... Der Vater ließ es sorglos geschehen und lächelte zu dem unbeholfenen Bemühen seines Kindes." (Klassische Sagen der Griechen, verschiedene Quellen)

Anderthalb Buchseiten weiter ist dieser Knabe tot, abgestürzt. Da erhebt sich der schwarze zivilisatorische Zeigefinger: "Siehst Du Kind, er ist zu nah an die Sonne heran geflogen und er hat nicht auf seinen Vater gehört!"
Die Moral von der Geschicht: Sei gehorsam und artig, komm dem Licht nicht zu nah. Wir wurden schließlich aus dem Paradies vertrieben! Jesus starb am Kreuz. Basta! Was heißt hier Auferstehung?

Weshalb muss ein Knabe sterben, weshalb muss er mit seinem Vater wegfliegen? Er hatte null Chancen. Wer war Dädalus, sein Vater? Von seiner Mutter gibt es in den Prosaerzählungen keinerlei Erwähnung. Auf die Frage, weshalb Dädalus plötzlich einen Knaben neben sich hat, und weshalb sie von Vater und Sohn sprechen, findet sich keine Antwort.

Dädalus selbst war ein berühmter Bildhauer und Baumeister seiner Zeit. Menschliche Skulpturen, die er schuf, wirkten lebendig.
Die Menschen bewunderten Dädalus und er mordete eifersüchtig und neidisch seinen Schwestersohn. Dieser begabte Junge ging bei ihm in die Lehre. Er erfand die Töpferscheibe, verwandelte den Unterkiefer einer Schlage in eine Säge, ganz ohne das Zutun seines Meisters und Herren. Herr Dädalus fürchtete um seinen Ruf. Blind vor neidischer Eifersucht kippte er seinen Neffen von einer Klippe. Beim Begraben der Leiche entdeckten ihn Fischer und Dädalus wurde verurteilt.
Doch er entwich nach Kreta, flügellos zu Fuß und mit dem Schiff. Hier herrschte König Minos. Er hieß den Baumeister willkommen und ließ ihn für sich arbeiten.

Minos erhielt vom Meeresgott Poseidon einen herrlichen weißen Stier zum Geschenk, die Bedingung war allerdings, dass Minos diesen Stier opfert. Übermütig verweigerte der König das Opfer.
Poseidon rächte sich und machte die Frau des Minos in diesen Stier verliebt. In Ihrer Besessenheit ließ sie sich vom Stier schwängern. Minotaurus wurde gezeugt und auch geboren. Der Minotaurus ist also der Sohn des Minos, zumindest nach der heutigen Rechtsauffassung des BGB.

Anstatt Minotaurus als Sohn anzunehmen, hält Minos ihn in einem Labyrinth gefangen. Um das Maß so richtig voll zu machen, weiß die Sage zu berichten, dass die Stadt Athen alle neun Jahre sieben Jünglinge und sieben junge Frauen an Minos liefern muss, die dann angeblich von Minotaurus gefressen werden. Was speist Minotaurus in der restlichen Zeit? Ein Rind hat im Oberkiefer keine Zähne.
Übrigens ist Minos selbst durch einen Stier gezeugt worden, denn seine Mutter ist Europa und sein Vater Zeus. Are there any questions? Das Labyrinth des Minotaurus baute Dädalus für Minos.

Mit der Zeit wird Dädalus der kretische Boden zu heiß, er fühlt sich gefangen und will fliehen: "Die Rettung ist gefunden, mag mich Minos immerhin von Land und Wasser aussperren, die Luft bleibt mir noch offen; so viel Minos besitzt, über die hat Minos keine Herrschergewalt. Durch die Luft will ich davon gehen." (ebenda)
Und erst hier beginnt die Geschichte, die in Schulbüchern steht.

Was soll dieses Bild in der heutigen Zeit, was interessiert denn Ikaros in einer Zeit in der es um weitaus wichtigere Dinge geht?
So verwandelt sich gerade das Klima, so eine Unverschämtheit! Terrrrorrrisssten schleichen sich um sich herum.
In Dresden leben Menschen, die die Welt der Elbauen auch ohne Querung an Kinder und Enkel vererben möchten. Andere schimpfen sie Hinterwäldler. Ach ja, der deutsche Wald, irgendwas stimmt mit dem nicht, der verträgt den Verkehr nicht. Doch da kann uns bestimmt die Gentechnik helfen. Wir kriegen die Erde schon dahin, wo wir uns hin haben wollen.
Himmel oder Hölle, diese Frage ist keine Frage für das Jenseits, sondern für das Diesseits, aber getrost, das betrifft erst unsere Enkel, wahrscheinlich.

Die modernen Ikarosse

Die modernen Ikarosse sind Jungen. Sie leben häufig ohne ihre Väter mit alleinerziehenden Müttern.
Kein Mensch erzieht sein Kind allein. Das Alleinerziehende meint ein anders Phänomen unserer Kultur. Für manche Kinder sind diese Mütter die einzigen direkten Bezugspersonen. Menschen ziehen der Arbeit hinterher, Familienstrukturen müssen über viele Kilometer aufrechterhalten werden oder zerbrechen daran. Großeltern gehen selbst arbeiten, Väter sind aus verschiedenen Gründen nicht anwesend. Auch Väter, die den ganzen Tag arbeiten, sind für die Kinder nicht anwesend. Soziale Strukturen zerbrechen oder sind brüchig.
Alleinerziehend meint allein sorgen müssen, schwere Entscheidungen treffen müssen. Nach einem Arbeitstag über die eigene Müdigkeit zu steigen und den Kindern zu zu hören oder einfach keine Kraft und Nerven mehr zu haben. Eigene Bedürfnisse und Freiheiten sind inbesondere in Zeiten, in denen die Kinder klein sind "für die Katze". Manchmal fallen auch die Kinder "hintenrunter". Überforderung läßt sich nur durch gut funktionierende soziale Netzwerke verhindern.
Erschwerend kommt hinzu, dass Kinderbegleitung (-erziehung) nicht als eine imanent wichtige Basisaufgabe der Gesellschaft gesehen und entsprechend finanziert wird. Zu körperlichen und seelischen Anforderungen kommen auch noch finanzielle Probleme.
Menschen, die selbst ohne Väter groß geworden sind, reaktivieren diesen Zustand möglicherweise in ihrer eigenen Elternschaft. Sie kennen es nicht anders.
Patchworkfamilien sind dadurch gekennzeichnet, dass noch Verpflichtungen aus alten Beziehungen bestehen, alte Beziehungen noch irgendwie weiter dümpeln, Unausgesprochenes den Alltag beherrscht. Um gut zu funktionieren, brauchen diese Flick-Arbeits-Familien einen sehr hohen sozialen Aufwand, eine hohe Aufmerksamkeit für seelische Belange von Kindern und Eltern. Sie benötigen auch ein umfangreiches Wissen und Handwerkszeug, dass den Alltag durchaus überfordern kann, zu mal Überforderungen sowieso normal sind. Plötzliche Crashs machen dann auf Krisensituationen aufmerksam. Für Jungen ist Gewalt ein Instrument, um auf diese Krisensituationen und auf sich selbst aufmerksam zu machen.

Moderne Ikarosse werden auffällig, weil sie die Schule schwänzen oder gewalttätig werden, gegen Mütter oder Väter, Geschwister oder Mitschüler. Die leisen, stillen, die gewalttätig gegen sich selbst werden, fallen auch hier durchs Raster.
Oft wird nach schnellwirkenden "Mittelchen und Pülverchen" gesucht, damit die Jungen wieder funktionieren. Menschen sind keine Maschinen, auch wenn es für den Arbeitsalltag das beste wäre.

Das Auffälligwerden der Jungen ist oft ihre einzige Möglichkeit, innere Not auszudrücken. Wenn sie dann wahrgenommen wird, ist es oft sehr spät. Innere Not entsteht, wenn Menschen sich nicht entsprechend ihren Bedürfnissen entwickeln können. Diese Bedürfnisse richten sich nach einer uralten Blaupause der menschlichen Entwicklung. Sie beginnt mit der befruchteten Eizelle und reicht bis zum Tod. Möglicherweise auch weit davor und weit danach. Das Leben strömt nach eigenen Gesetzen, die sich nicht nach Gelderwerb und Karriere ausrichten.
Es stellt sich die Frage nach Huhn oder Ei: Arbeiten um zu leben, Geld verdienen um eigene Ideen und Lebensentwürfe umsetzen zu können ODER Leben um zu arbeiten, Geld aufzuhäufen, meist noch für andere und irgendwann in die Kiste zu kippen, na ein bißchen Urlaub und Auto fahren als Trostpflaster ist erlaubt. Bringt ja auch wieder Geld in die Taschen anderer.

Dazu eine persönliche Frage: "Stell Dir vor, du musst morgen sterben. Könntest Du zufrieden Abschied nehmen?"
Du weißt nicht, wann es soweit sein darf.

Das gewalttätige Auffälligwerden der Jungen kann unterschiedliche Ursachen haben: Einige von Ihnen begannen sich gegen körperliche und seelisch-verbale Gewalt der Mütter und Väter zu wehren. Es ist ein Phänomen in unserer Gesellschaft, dass Jungen nur wenig Möglichkeiten haben, in ihrer Opferrolle wahr- und ernst genommen zu werden.


Andere Jungen hatten in der Vergangenheit nicht gelernt, Grenzen zu beachten. Ihnen waren keine Grenzen gesetzt worden, sie waren die Herren im Haus. (Ein Nest ist ein Nest, weil es Grenzen hat.) Sie hatten die Stelle des Mannes oder Liebhabers der Mutter übernommen. Solange die Jungen noch handzahm sind, so niedlich und knuddelig, ist es scheinbar schön.
Jungen wachsen. Sie erlangen irgendwann auch die körperliche Kraft des Mannes. Und dann eines Morgens, ganz plötzlich und unerwartet, ist er tot, der Kleine. Und es steht ein Tyrann am Tisch oder in der Schrankwand sitzen ein paar Punks: "Haste mal `n Euro?"
Schon mal was von Pubertät gehört? Das gehört sich aber nicht, da hört doch alles auf, das macht man(n) nicht. Das passt doch nicht ins Bild des bürgerlichen Idealismus, in unsere schöne, nette, ach so zivilisierte Welt: "Wir können doch über alles reden ..." Bächssss, röchel, röchel. Jetzt nicht mehr!
Eine gut gelebte Pubertät ist für Kinder und Eltern ziemlich schmerzhaft, doch notwendig für Kinder, um ihren eigenen Lebenspunkt zu finden. Wirklich ihren eigenen und nicht den verlängerten, weitergegebenen der Eltern. Auch für die Eltern ist dieser Prozess heilsam. Elternzeit ist ein Teil des Lebens, ein wichtiger. Denn in dieser Zeit bildet sich eine andere Sicht auf die Welt heraus, Verantwortung, Sorge um andere und anders. Eine Glasscherbe auf der Strasse bekommt eine andere Bedeutung, wenn Dein Kind laufen lernt. Elternzeit ist endlich.

Die Jungen lernen nach Modellen und ein wichtiges Modell ist der Kämpfer. Kontinuierlich und immer schneller steigen die dunklen Krieger wieder ans Tageslicht und schreien von Litfass-Säulen, aus Kinowerbungen, Fernsehzeitschriften. Sie beherrschen die Arbeitswelt, die Sportwelt... Wir führen wieder Krieg! Auch normale Produktwerbung wird gewalttätiger. Die Anforderungen in den Schulen werden immer höher. Drogen gehören zum Alltagsbild: Alkohol mit Energieplus ... ist ein teuflischer Einsteiger.
Schneller, höher, weiter: Im Schulalltag und im Arbeitsalltag gibt es keine Dopingkontrolle.

Andererseits: Gewalt ist ein temporäres Phänomen in der Entwicklung von Jungen. Sie bilden Cliquen, verabreden sich, prügeln sich mit sich und der Polizei. (Die darf ja prügeln.) Jungen saufen und prügeln sich, oder saufen nur oder prügeln nur. Nicht alle klar, aber es gibt Gruppen oder Charaktere, da ist das so. Sie rücken auch lieber in den Knast ein, als sich zu entschuldigen oder am Anti-Gewalt-Training teil zu nehmen. Punkt. Man(n) und Frau kann es so einfach sehen oder auch versuchen, mit pädagogischen Mitteln etwas zu ändern. Letzteres ist einfach Unsinn und Selbstbefriedigung. Jedenfalls in dieser bestimmten „Roten Zeit“.
Die Jungen hören auch wieder auf.

Kinder in Familiensystemen besitzen die wunderbare, engelsgleiche Fähigkeit, Aufgaben zu übernehmen, um diese Systeme am Leben zu erhalten. Einige der Jungen opfern sich selbst.
Opfern können sich Männer perfekt, ein Bein für ein Stück Blech an die Brust, ein Auge für ein buntes Band durchs Knopfloch oder das Leben für ein Konstrukt wie Ehre. Das klappt schon Jahrhunderte lang bestens! Heutige Ikarosse opfern ihre Kinderträume, ihre Kindheit, um den Leistungsanforderungen aus der bürgerlichen Leistungswelt gerecht zu werden. beziehungen schaffen(s.unten)
Die Jünglinge agieren aus, sie zeigten ihre Not auf die ihnen adäquate Weise. Auch eine Erfahrung der Übermacht ist Not. (s.u.)
Bekannter Maßen weinen Jungen nicht. Es ist unmännlich, über Gefühle zu sprechen.
Wie sollen sie auch? Wie sollen sie diese Erfahrung machen, dass Väter von sich sprechen, ihre Gefühle zeigen, wenn die Väter im Maschinentakt ihren Mann stehen müssen, oder einfach nicht greifbar sind, greifbar auch im Sinne von angreifbar. Die Dresdner Kinderstudien verdeutlichen, dass Väter immer weniger als Vertrauensperson der Kinder herangezogen werden.

In der gesamten Diskussion um Geschlechtsrollen, um Opfer und Täter, um Schuld und Unschuld, also grundsätzlich um Macht, werden verschiedene Sachverhalte-Tatsachen ausgeblendet. Eine davon ist die Macht, die eine Mutter über ein Kind hat, sie ist existenzerhaltend oder existenz-zerstörend. Maria oder Kali, oder besser: Lilith oder Kali oder Maria oder Lilith?
Am besten und! Eine andere Tatsache ist, dass die letzten großen Kriege massiv und radikal, fast flächendeckend Wurzeln zerschlagen haben, durch Mord und Vergewaltigung, den Tod für bla, bla, bla, Vertreibungen und die anschließende Zeit der Wahnsinnsdiktaturen, den kalten Krieg. Dieses gesellschaftliche Trauma wird im Nachdenken über die Situation von Männern und Frauen immer noch weitgehend ausgeblendet.

Was kennzeichnet einen Muttersohn?

In Sachsen leben etwa 15% der Jungen bis 18 Jahre bei alleinerziehenden Müttern. (Sächsisches Landesamt für Statistik, 2006)
Diese Zahlen enthalten keine Angaben über Patchwork-Familien oder Paarbeziehungen.
Ein Muttersohn wächst sehr nah bei der Mutter auf, er lernt von ihr, den Alltag zu meistern. Er lernt von ihr, was "Mann-Sein" bedeutet, er lernt von ihren Vorstellungen, wie sie sich ihren Mann wünscht. Ein grausam-wunderbarer Effekt einer zu engen Liebesbeziehung zur Mutter ist, das der Junge seinem ersten Liebesobjekt ganz nah sein kann, näher als der Vater. Der ist ja sowieso auf Arbeit. Und Mutter stellt den Sohn, ihren Prinzen, dann ins Vertiko.
Doch leider: Einer, der auf einem Sockel steht, darf nicht forzen, nicht vögeln und nicht davon fliegen. Irgendwann wird es dann sehr einsam und langweilig auf dem Sockel. Dann kann Mann ja auf Handbetrieb umschalten.

Zeichnung eines 13 jährigen GymnasiastenDie Macht der Mütter manifestiert sich im Alltag in kleinen, fast beiläufigen Handlungen, Hinweisen, Erlaubnissen, Verboten, in Blicken und Gesten.
Alltag ist nicht der immer wieder beschworene graue, langweilige Part.
Im Alltag lernen Kinder leben. Sie lernen es, ihre Bedürfnisse wahrzunehmen und durchzusetzen.
Die Frage ist das "Wie?" Ob diese Durchsetzung auch gesellschaftstauglich ist, oder nur in der Familie funktioniert. Sie lernen sich zu streiten oder auch nicht. Sie lernen Offenheit oder " Hinterfotzigkeit"– ein Wort wie ein Buch.
Wie reagieren Jungen, wenn sie hinterfotzig sind? Kinder lernen, soziale Kontakte herzustellen. Ein Kind lernt die Welt entdecken und es macht einen großen Unterschied, ob es auf einem Bildschirm sieht, wie eine Biene den Honig saugt, oder ob das Kind auf der Wiese liegt und zu-sieht-hört-spürt, wie eine Biene den Honig aus der Blüte schmatscht-zzzschtttt.

Der Muttersohn lernt die Emotionen der Mutter zu verstehen und darauf zu reagieren.
Es gibt Jungen und Mädchen, die "oszillieren". Oszillation ist ein Begriff aus der Physik und meint Schwingungen. Sie schwingen zwischen ihren eigenen Bedürfnissen und den eingebildeten Wünschen des Gesprächs- oder Handlungspartners hin- und her. Sie verschwimmen in ihrer Identität. Mögliche Ursachen liegen in einer Abwertung der inneren männlichen Handlungsstrategien durch Erziehungsinstanzen und schlussendlich auch durch den Jungen selbst.
"Das für uns Überraschende, fast Erschreckende ist dabei nicht, dass männlichkeitsorientiertes Verhalten oder erkennbare Ideologien von Männlichkeit auch kritisch betrachtet und bewertet werden. Es ist viel mehr diese Durchgängigkeit, dieses nahezu überall präsente soziale „Understatement“, dass Jungen und Männer in einem wesentlichen Teil ihrer geschlechtsbezogenen sichtbaren Persönlichkeitsanteile und Verhaltensweisen abgewertet werden."(Winter, Reinhard, Neubauer, Gunter; Forschung und Praxis der Sexualaufklärung und Familienplanung, Band 14: Kompetent, Authentisch und Normal?-Aufklärungsrelevante Gesundheitsprobleme, Sexualaufklärung und Beratung von Jungen; BZgA (Hrsg.), Köln; 1998 ) Zu diesem Schluss kommen zwei Autoren, nachdem sie pädagogisches und psychologisches Fachpersonal befragt haben.

Was bedeutet diese Aussage für den konkreten Lebensalltag von Mädchen und Jungen? Werden diese Abwertungen noch durch körperliche oder seelische Gewalt verstärkt, können sich innere Abhängigkeiten ausbilden, die erwachsene, gut im Beruf stehende Männer von ihrer Partnerin abhängig sein lassen, auch wenn es dafür keinen erkennbaren Grund gibt.
Diese Erziehungsinstanzen sind durch ein Phänomen geprägt, welches in dieser Form erst nach dem zweiten Weltkrieg entstand: Der allergrößte Teil der Mitarbeiter sind Frauen. Konkret bedeutet das für die Stadt Dresden: Im Bereich der Kindertagesstätten arbeiteten 1,3 % Männer (Stand 10.2.05). Neben den 167 Dresdner Tagesmüttern gab es 5 Tagesväter (Stand vom 24.1.05). Im Grundschulbereich der Stadt Dresden waren laut Regionalschulamt 1.356 Lehrer und Lehrerinnen tätig, davon 76 männliche (5,6%) und an Mittelschulen insgesamt 1670 Lehrer und Lehrerinnen, davon 402 männliche (24,07%) (Stand März 2005). Wenden sich Jungen in Problemsituationen weiter, treffen sie meist Frauen an. Im Allgemeinen Sozialen Dienst des Jugendamtes arbeiteten 16 Männer und 148 Frauen.
Oder die Jungen haben sich unsterblich in ihre Mutter verliebt, beide kommen nicht los voneinander. Da hilft dann oft nur die Flasche und das bis zum bitteren Ende, wenn er gelb und sie schwarz wird. Diese Beziehungskonstellationen sind auch ein aktiver Nährboden für massive häusliche Gewalt. In der Öffentlichkeit wird dann oft der männliche Part als "der böse Täter" gesehen. Die wirklichen Ursachen liegen viel tiefer und sind komplex.

Ein Kind, welches Verantwortung für Erwachsene übernimmt, hat weder die körperlichen, seelischen noch sozialen Möglichkeiten dazu. Es hat selbst ein Recht auf Schutz und Begleitung. Söhne, die von der Mutter zum männlichen Liebesobjekt gewählt werden, weil der Vater aus verschiedenen Gründen nicht da ist, müssen ihren Kinderstatus verlassen. Die Generationengrenzen werden verwischt. Die Jungen bekommen eine Macht, die sie in einen Zustand der Macht über die Mutter setzt. Damit sind die Kinder überfordert. Allerdings fällt das niemandem wirklich auf, denn für die Jungen ist es toll, ihr erstes Liebesobjekt wirklich zu besitzen und ihre Mütter fühlen sich geliebt, geschmeichelt und entlastet. Später kann es dann zu einem bösen Erwachen kommen, wenn die Jungen ihre körperliche Stärke erfahren, in die Pubertät kommen und gebannt sind, ob der vorhandenen Situation oder ihre Macht wirklich durchsetzen wollen. In ersterem Fall lernen die Jungen Selbstaufgabe und Überforderung als einen normalen Zustand der Liebe in Beziehungen zwischen den Geschlechtern zu verstehen. Der zweite Fall ist die Basis für zum Teil massive häusliche Gewalt. In diesen Fällen werden Beziehungsqualitäten auch gesellschaftlich sichtbar, die ihren Anfang schon vor 10 Jahren oder vorher nahmen.

Jungen und Mädchen werden in Kindergärten und Schulen nicht gleich behandelt, auch Eltern können Jungen und Mädchen nicht gleich behandeln, weil sie immer noch auf verschiedene Rollenbilder in der Gesellschaft vorbereitet werden und auch auf verschiedene Erwartungen stoßen. Ein Junge kann nicht im Kleid rumlaufen, Mädchen laufen fast nur noch in Hosen rum. Wieso lassen Eltern zu, dass Jungen für ihr männliches Verhalten abgewertet werden, weshalb werten Erwachsene Jungen ab? Wieso geschieht das in unserem Schulsystem? Wieso geraten Werbespots wegen Frauenfeindlichkeit auf den Index und Männer verschwinden durch Scheuerlappen oder sonst wo. Weshalb sind Hauptschulen und Gefängnisse Männerdomänen?

Arbeitswelt versus Lebenswelt

Die technischen Entwicklungen der letzen Jahrhunderte veränderten auch soziale und Familienstrukturen. So lebten bis um 1800 noch 80% der deutschen Bevölkerung in ländlich-dörflichen Strukturen. Kinder erlebten ihre Väter tagtäglich. Sie lernten Leben im Alltag. Die Väter verschwanden erst mit der industriellen Revolution in die Fabriken, sie wurden den Familien entfremdet und auch sich selbst. Im Jahr 1907 zogen z.B. 1,2 Millionen Menschen nach Berlin-Brandenburg und fast 2 Millionen aus Ostdeutschland (Ost- und Westpreußen, Posen, Schlesien und Pommern) fort.(Hermann de Buhr und Michael Regenbrecht; Industrielle Revolution und Industriegesellschaft, Cornelsen, Hirschgraben, 1990)

Die feministischen Diskussionen der letzten Jahre orientierten sich hauptsächlich an der wirtschaftlichen Macht des Mannes und einer Teilhabe an seiner Macht. Der potente, machtvolle Mann wurde an den Pranger gestellt. Dabei wurde übersehen, was sich mit dieser Macht verband. Wieviel Selbstaufgabe, wieviel Schmerz und Einsamkeit. Nun können es auch Frauen erfahren und machen dafür Platz für Männer am heimischen Herd und in der farbigen, lebensfrohen und interessanten Welt der Kinder.

In dieser Lebenswelt werden andere menschliche Qualitäten gefordert und entwickelt, als in der Arbeitswelt. Menschsein enthält entschieden mehr als Diener von Maschinen zu sein. Auch ein Auto und ein Computer ist eine Maschine.
Einst wurden Maschinen erfunden, um Menschen das Leben zu erleichtern, Visionen sprachen davon, dass Menschen nur noch wenige Stunden am Tag arbeiten würden, der Rest wird von Maschinen erledigt. Doch diese Visionäre hatten in ihren Überlegungen den Faktor Mensch falsch eingeschätzt. Die Dressur zum Arbeitstier war schon weiter fortgeschritten, als sie dachten. Manche Menschen wollen arbeiten, am besten Tag und Nacht, sie konkurrieren mit den Maschinen, wer besser funktioniert, wer länger arbeiten kann. Sie verbringen Stunden in Maschinen, vergessen zu essen und zu trinken, sie werden immer maschinenähnlicher. Schul- und Arbeitssysteme dienen vorrangig der Vorbereitung auf die Arbeitswelt, nicht der Lebenswelt.

Die Welt der Kindererziehung erfordert andere Nuancen. Sollten die Erwachsenen den Kindern Macht einräumen, dann können Erwachsene lernen, wieder spontan zu sein, die Welt als ein Wunder zu begreifen. Sie lernen spielen und lachen, im Moment zu sein, sie können wirklich und wahrhaftig die Chance erhalten, ihr Menschsein zu begreifen. Ein Menschsein, dass Maschinen braucht, um sich das Leben zu erleichtern und nicht um sich das Leben vorgeben zu lassen.

Mit der Entstehung des Bürgertums im 18. Jahrhundert, wurde die Frau aus dem Erwerbsleben verdrängt. Die Frau wurde zur Herrscherin im Haus. Bis dahin waren Mann und Frau meist gleichberechtigt für die Sicherung der Existenz verantwortlich. Erhebliche Unterschiede trennten die Aufgabenbereiche von Männern und Frauen im monetären Bereich.
Hof und Wirtschaft erbten meist ein Sohn. Auch jeder landwirtschaftliche Ertrag, der Geld brachte, kam in die Hände der Männer. So wurde aus der ursprünglich weiblichen Arbeit des Melkens und Käsemachens eine männliche Domäne, als sich dieser Bereich von der Selbsterhaltung zum Gelderwerb umwandelte. Interessant ist hier die Frage, ob diese Entwicklung "Schuld" der Männer ist, oder wo die Ursachen dafür liegen.

Die Macht des Mannes in der europäischen Tradition leitet sich von der "patria potestas ", dem Väterrecht des römischen Rechts her. Der Hausherr bestimmte über die Angehörigen der familia. Zu ihr gehörten neben den Familienmitgliedern in unserem Verständnis auch alle Angestellten des Hauses. Er bestimmte Ausbildungs- und Lebenswege, auch über Leben und Tod. Der Patriarch hatte die Verantwortung und gesellschaftliche Verpflichtung für das Überleben der familia zu sorgen. Diese Verantwortung war erheblich und bedeutete und bedeutet immer noch, eigene Träume und Wünsche hinten anzustellen. Eine Orientierung an den oberen Zehntausend verstellt den Blick für die "normalen" Bürger.

Auf dieser Vatermacht war auch lange Zeit die deutsche Rechtssprechung aufgebaut. Erst Mitte der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts wurde eine Gleichberechtigung der Frau im BGB verankert. In der Verfassung der DDR war diese Gleichberechtigung von Anbeginn enthalten.
Doch Verfassung und BGB sind das eine, Traditionen und familiäre Rollenverteilungen ein anders. Die Wende war zum einen auch damit verbunden, Frauen wieder verstärkt "an den Herd" zurückzubringen. Aus dem Aspekt der Machtteilung in der Wirtschaft und den Erungenschaften des feministischen Aufbruchs, ein Rückschlag. Aus der heutigen Situation betrachtet ein menschlicher Vorteil, den Männer eher nicht haben. Frauen haben, wenn sie in der Arbeitswelt keine Chance erhalten, wieder eine gewisse Lebensperspektive. Jungen Männern, die nie arbeiten können, bleibt auch diese Lebensperspektive verschlossen. Welche Möglichkeiten haben sie, um ihr Leben sinnvoll zu füllen. Muss Mann dem Leben einen Sinn geben? Reicht es nicht, einfach zu leben, wie die Vögel und die Biber.

Die gesellschaftliche Situation verändert sich grundlegend.

Frauen und Männer sind zu einem gleichen Anteil arbeitslos, Jungen und junge Männer erreichen geringere Bildungsabschlüsse, und zwar in Größenordnungen. So verlassen etwa doppelt so viele Jungen die Hauptschule und etwa doppelt so viele Mädchen das Gymnasium. Die Abwertung trägt Früchte. Auch körperliche Gewalt spielt sich hauptsächlich zwischen Jungen und jungen Männern ab. 70% der Opfer und Täter sind männlich. in manchen Kategorien der Polizeistatistik betragen die Zahlen fast 90 %.
Im Jahr 2007 waren 127 Jungen und 110 Mädchen von körperlichen Misshandlungen betroffen. Verdächtige Täter und Täterinnen waren 129 Männer und 104 Frauen. Von gefährlicher und schwerer Körperverletzung auf Straßen und Wegen waren 3.361 Jungen und Männer und 449 Mädchen und Frauen betroffen. (Polizeiliche Kriminalitätsstatistik Sachsen 2007 )
Ausführlichere Zahlen finden sie hier.

Im öffentlichen Bewusstsein wird die Gewalt gegen Jungen und junge Männer weniger problematisch gesehen, als Gewalt gegen junge Frauen und Mädchen. Hier wird eine geschlechtspezifische Wahrnehmung deutlich und sollte hinterfragt werden.
Sind Jungen weniger schutzbedürftig als Mädchen? Welche Auswirkungen hat diese Differenzierung? Wird hier eine gesellschaftliche Toleranz sichtbar, dass Krieger Schmerz ertragen müssen, dann sollen sie es auch lernen. Heul nicht, Memme! Jungen und Männer verlieren an gesellschaftlicher Anerkennung, wenn sie Opfer sind. Diese Abwertung ist Teil einer soldatischen Erziehung der letzten Jahrhunderte. Noch vor 20 Jahren war Wehrkunde ein Schulfach! im Osten. Männliche Studierende mussten ihren "Ehrendienst" bei der NVA ableisten und während des Studiums waren Reservistenausbildungen obligatorisch. Eine Nichtteilnahme konnte die Exmatrikulation zur Folge haben.

Die Selbstmordrate liegt für Jungen viermal höher. Das Aufmerksamkeitsdefizits-Hyperaktivitätssyndrom, kurz ADHS, trifft dreimal häufiger Jungen.
Verschiedene Jungen haben real ein Aufmerksamkeitsdefizit. Zum einen sind die Väter nicht da und können ihnen Aufmerksamkeit schenken und zum anderen sind sie ihren Müttern ein Dorn im Auge oder das fünfte Rad am Wagen.
Manche Jungen haben es nie lernen dürfen und können, einen Kontakt zu sich selber herzustellen. Fernsehen und Computer sind dafür untauglich.
Der Kontakt zu den Vätern im Alltag ist lebensnotwendig für die Seelen und Körper der Jungen (und Mädchen). Sie müssen später schließlich ihren Mann stehen. Auch Männer müssen ihren Alltag meistern. Oder soll Mama noch die Socken waschen für den kleinen, süßen, saufenden fünfzigjährigen Sohnematz? Das war kein Witz!
Um sich selbst bewusst zu werden, brauchen Jungen lebendigen Kontakt zu Männern und Frauen, die Zeit haben und sich diese Zeit auch bewusst nehmen. Menschen sind wohl die kompliziertesten Wesen der Lebenswelt dieses Planeten und brauchen nicht umsonst 18 Jahre bis sie erwachsen sind. Nach dem BGB dürfen sie dann endlich einkaufen und Auto fahren. Wieso sprechen Indianer davon, dass ein Mensch erst mit 51 Jahren erwachsen ist? Da ist doch nach unserer zivilisierten Vorstellung schon alles vorbei: altes Eisen, Deckenkäufer, Senior. Senior, nicht Senior (spanisch).

Irgendetwas übersieht diese aufgeklärte und zivilisierte Weltsicht.
Menschliche Entwicklung beinhaltet wohl doch etwas mehr als eine Vorbereitung auf Job und Kariere. Die, die das wissen können, sitzen abgeschottet in der Seniorenresidenz: Sie würden ja den Spaß an der Leistung verderben!

Was hat unsere Kultur für ein Liebesbild? Ein romantisches: " Ich schenke Dir mein Herz..." Baff, fällt er um und ist tot!

In die öffentliche Diskussion geraten die Gewaltexzesse von jungen Männern. Experten warnen vor der Gewalt von jungen männlichen Migranten. Ursache ist auch hier eine Wurzellosigkeit, in einem Nichtverbundensein mit ihrer männlichen Identität. Die alten Rollenmuster greifen nicht mehr: Männer als Alleinverdiener, als der „Herr-scher im Haus“. Kulturelle Abgeschnittenheit und Konfrontation mit einem "westlichen" Männerbild schafft weniger Verbundenheit mit sich selbst, verhindert Wurzelbildung in der Familie, im Beruf, in der Heimat. Junge männliche Migranten müssen zum Teil notwendiger Weise den Männerpart in der Familie übernehmen, da die Väter mit dem Kulturschock noch weniger zurecht kommen. Die Väter haben keine Arbeit und verlieren ihren Versorgerstatus, sie kommen mit Sprache und westlicher Kultur nicht zu Rande. Dieses Fehlen der Väter verursacht große innere Lücken, weiße Flecken auf der Seele, Minderwertigkeitsgefühle, Abwertung in den pädagogischen und sozialen Systemen, erlebte Ohnmacht und Hilflosigkeit als Gewaltopfer, alles trägt zu einem erheblichen Statusverlust bei. Dieser Status "Mann" ist in verschiedenen Kulturen viel existentieller besetzt, als in Mitteleuropa.
Wurzellosigkeit meint in Europa und konkret in Deutschland auch das Fehlen der Männergenerationen, die in den beiden Weltkriegen gefallen sind. Selbstverständlich gab es auch große Verluste in der Zivilbevölkerung, also bei Frauen und Kindern. Doch es gibt einen großen menschlichen Unterschied, ob man als „Soldat“ einen besonderen unmenschlichen Status erhält. Ein Mann wird durch seinen Wehrdienst, bzw. Kriegsdienst zu einer Maschine gemacht. Er muss gehorchen, er kann nicht sagen. „Ich habe keinen Bock mehr.“ Er muss und darf morden und ermordet werden. Das wird dann anders bezeichnet: Er fiel für....bla, bla, bla.
Diese Ausgliederung aus dem Menschsein bedeutet ein brutales Abschneiden von inneren Regungen, wie Angst. Mitgefühl, Selbstverantwortung, ja sogar so elementaren biologische Funktionen wie Selbsterhaltung.
Und er kommt dann wieder zurück, zieht die Uniform aus und soll wieder der liebe Vater, Bruder, Mann sein? Das geht wohl kaum. Viele Männer scheitern noch viele Jahre später an diesen unverarbeiteten Traumata. Sie geben diese Traumata auch unbewusst weiter, durch Schweigen, emotionale Panzerung ... Auch die Vertreibungen schnitten Wurzeln ab.

Bei allem Gejammer und Gemecker, Parteiengezänk ... sollten wir eines wirklich würdigen: Deutschland lebt seit über sechzig Jahren mit seinen Nachbarn im Frieden. Vor 100 Jahren waren Frankreich und England der "ERZFeind!"
Doch sind Kriege nicht weit weg und bei uns leben Menschen aus anderen Ländern, die Krieg erlebt haben. So traf ich im Zoo Dresden einen jungen Mann, einen Vater, einen Russen, der in Tschetschenien war. Danach war Schweigen. Es ist unaussprechlich.
Die Traumatisierung der Kriege umgibt uns möglicherweise wie die Luft zum Atmen. Wir leben mit ihnen, ohne sie wahrzunehmen, der Krieg hat den Kontakt zu den Wurzeln zerschlagen, zu Haus und Hof für die Vertriebenen, zu den gefallenen und ermordeten Vätern und Müttern für die Kinder. Es ist menschlich fast unmöglich, diese Erlebnisse zu heilen. Sie werden von Generation zu Generation weitergegeben und langsam ausgelöscht.

Hier liegt möglicherweise eine tiefe Ursache für die Außengerichtetheit unserer Gesellschaft, der Weg nach Innen tut zu weh.

Was bedeutet das Fliegen des Ikaros?

Dieses Fliegen bedeutet einen seelischen Zustand der Nichtverbundenheit, Wurzellosigkeit. Nicht verbunden sein mit den eigenen Bedürfnissen ("Komm sei lieb und artig und mach ..."), mit den eigenen Wünschen ("Versteh doch mal, mein Kind....") und nicht verbunden sein mit dem eigenen Körper ("Sei ein Held!"). Das Selbst, das Steuerungsinstrument für Entscheidungen im Alltag, hat gelernt, sich hauptsächlich nach Steuerungsbefehlen von außen zu orientieren: den Eltern, oft der Mutter, dem Chef, dem Kommandeur, dem Fernseher, Erziehern und Erzieherinnen, nach Ideologien und ...ismen.


Alte Rollenbilder und Identifikationsmöglichkeiten wie Lohnarbeit und Karriere sind für immer mehr Jungen unerreichbar. Es gibt Menschen, die nie arbeiten (im sinne von Lohnarbeit) werden, die nie eine Fabrik oder ein Büro von innen sehen. Daran hängen für junge Männer aber auch weitere Entscheidungen wie Frau, Familie, Kinder. Junge Frauen erhalten z.B. freien Eintritt in Tanzveranstaltungen.

Die Jungen müssen ihren Alltag gestalten, jeden Tag, jede Minute leben, Entscheidungen treffen. Woran orientieren sie sich?
Alltag ist kein grauer bedeutungsloser trister Zustand. Er betrifft die besondere Zeit, in der Kinder lernen, ihr Leben zu meistern. Sie lernen ihren Mann oder Frau zu stehen, sie lernen soziale Kontakte herzustellen und zu halten, sie lernen Konflikte zu lösen, Niederlagen und Siege einzustecken oder auch nicht: " Ätsch mein Auto ist am größten!" "Dafür ist meins am schnellsten!"– " Ätsch, mein Transrapid spart auf 300 km 10 Minuten ein!"– "Ich will die Brücke, ich will die Brücke, ich will die Brücke!" ( die Waldschlösschenbrücke in Dresden)
Kinder lernen im Alltag ihre eigene Macht oder Ohnmacht kennen. Sie lernen ihren Körper kennen. Spiel bedeutet Vorbereitung auf das Leben. Was lernen Jungen an ihrem Computer? Väter spielen z.B. viel aggressiver mit Kindern. Diese lernen dabei Körperkoordination und Beweglichkeit. Auch ein Umgang mit Sieg und Niederlage stecken in diesem Lernprozess, für beide. Väter brauchen ihre Kinder genauso, wie Kinder ihre Väter brauchen.
Wann sehen Kinder z.B. den Arbeitsplatz der Eltern? Ach ja zum Girlsday dürfen die Mädchen mal die Väter besuchen. Wann sehen die Jungen den väterlichen Arbeitsplatz? Die Boysdays sind darauf orientiert, Jungen in "weibliche" Berufe zu bringen. Was haben die Heldendarstellungen im Fernsehen mit dem Alltag der Jungen zu tun?

selbst - bewußt - sein meint genau das: sich selbst bewußt sein, zu wissen, was steckt in mir, was möchte ich, was will ich, was fühle ich, was will ich essen ... und dieses Bewußtsein ist ohne Erziehung vorhanden, es ist in die Blaupause eingeschrieben.
Andere Jungen sind schon sehr früh auf die Karrierebahn gestellt worden. Sie lernen Instrumente, sie lernen lernen, sie lernen Disziplin, sie lernen Tanzen, schwimmen, alles das, was Eltern denken, was sie einmal brauchen könnten. Da bleibt dann kein Körnchen Zeit für eigene Entdeckungen. Die Jungen lernen sich selbst nicht kennen. Sie instrumentalisieren ihren Körper, denn Leistung wird belohnt. So wie sie selbst behandelt wurden, behandeln sie dann später andere und die Erde.
Denn sie werden die Wirtschaft führen, sie werden in die Politik gehen und Entscheidungen treffen. Sie werden 30 Jahre jung sein, viel Geld haben und allein sein, oder ein Haus haben, eine Familie ihr eigen nennen, ein Auto besitzen, einen Job ausfüllen und irgendwie spüren, dass etwas fehlt: Ihre Kinderseele sitzt noch im Sandkasten und will spielen. (die Bilder stammen von 12 jährigen Jungen eines Gymnasiums zum Thema "Meine Zukunft als Mann")

Alltag bedeutet zu lernen, seine Wäsche zu waschen, sein Essen zu kochen und Zusammenhänge zu begreifen. Fischstäbchen schwimmen nicht im Meer und ein Kotelett aus dem Kühlregal muss vom Schwein abgeschnitten werden und das tut weh! Benzin kommt nicht aus der Zapfsäule, sondern als Erdöl aus der Erde und auch bei uns brauchen wir Regen, damit Wasser aus der Wand kommen kann. Noch kommt es ja. Und Flugzeugbenzin zerstört die Ozonschicht, aber erst für unsere Enkel. Wenn Jungen nicht lernen, ihren Alltag zu gestalten, weil es z.B. überhaupt keinen Sinn macht, sie keine Zukunft vermittelt bekommen, wenn sie nicht lernen, das es mehr gibt als Lohnarbeit, ihnen verwehrt wurde, ihren eigenen Bedürfnissen zu folgen, dann folgen sie anderen Reizen, Trugbildern, Männerbildern. Sie lösen sich von sich selbst ab und folgen den imaginierten Bildern der "guten oder bösen" Helden.

Sie fliegen davon auf der Suche nach sich selbst oder dem Sinn des Lebens, ihres Lebens, auf der Suche nach Wärme und Liebe, die ihnen gefehlt hat. Menschen, die nicht mit sich selbst verbunden sind, können nicht unabhängig sein. Hurra, das sind die besten Konsumenten: Schieß doch Kaufhaus!

Ikaros muss nicht sterben, wenn Eltern und Erziehungssysteme ihre Hausaufgaben machen. Und wir, d.h. Eltern und Erzieher und Erzieherinnen, Lehrer und Lehrerinnen sollten die Jungen annehmen, mit ihrem Sein, mit ihren Bewältigungsstrategien und ihrem Weg in die Männlichkeit. Den Jungen wird wenig geholfen, wenn sie und ihr Verhalten mit Wunschvorstellungen verglichen werden.

Es ist wohl eine der größten und wichtigsten Aufgaben unserer Zeit, Jungen und Männern wieder Wurzeln zu geben bzw. ihnen Möglichkeiten zu eröffnen, ihre Wurzeln selbst zu treiben. Dazu braucht es nur Vertrauen in das Leben, dass es und damit auch die Jungen und Männer wissen, was ihnen gerade gut tut. Dieses Wissen steckt nicht im Kopf, der ist zu lange in die Schule und durch Erziehung gegangen. Dieses Wissen steckt im Herz und im Körper. Lass dich ruhig mal aus der Bahn werfen! Wirf nicht gleich eine Pille ein, wenn etwas weh tut. Unser Mensch-sein ist dadurch gekennzeichnet, dass uns Schmerz auf Konfliikte hinweist, dass wir verletzlich und sterblich sind. Und wir haben die Fähigkeit zu heilen. Die australischen Aboriginies haben wegweisende Märchen zu diesem Thema: "Wie die Männer entstanden" und "Warum die Menschen geschaffen wurden".

Wenn Jungen und Männer gut verwurzelt sind, erhält das Fliegen eine andere Bedeutung. Dann bedeutet fliegen auch Horizonterweiterung, ein Gefühl von Freiheit und Grenzenlosigkeit, Lebensfreude.