DIE Agentur

EINES Tages erhält M einen Brief von DER-Agentur:

„Erscheinen Sie morgen pünktlich, sauber gekleidet, drogenfrei und lächelnd um 7.30 Uhr im Zimmer 1003.“

M erschrickt und beginnt zu überlegen: Weshalb soll er lächeln? In DER-Agentur lächelt niemand. Bisher verging ihm das Lächeln spätestens am Eingang, wenn er die graublauen Gesichter und die rotgeäderten Nasen der Raucher sah, die verbissenen Gesichter der junger Männer oder die enttäuschten und verzweifelten Gesichter der Mütter.

Bisher war Lächeln nicht erwünscht. Ein Lächeln könnte ja bedeuten, dass er mit seinem Leben zufrieden ist, das er auch ohne Arbeit leben kann. Ein Lächeln bedeutet, dass er zu der gefährlichen Sekte der „Glücklichen Arbeitslosen“ gehört. Zu den Menschen, die zufrieden damit sind, morgens um 8.00 in Ruhe zu frühstücken und dann ihr Tagwerk beginnen, einfach in der Sonne sitzen oder im Cafe, wandern gehen, in einem Kindergarten aushelfen, ein Kind bei den Hausaufgaben helfen, den alte Großvater pflegen, den Gehweg fegen oder sich einfach treffen und darüber nachdenken, weshalb so viele Menschen einsam in ihren Bleckboxen sitzen und verbissen popelnd an der Ampel stehen, um mit 150 PS ihre Aktentasche ins Büro zu fahren, um dann den ganzen Tag am Computer zu sitzen oder wie in DER-Agentur mit verbissenem Gesicht verbissenen Empfängern zerbissene Formulare auszuhändigen, die der verbissene Empfänger erst mal bei netten Nichtmehr-Empfängern erklären lässt.

„Wann haben sie das letzte Mal gevögelt?“ Liest er weiter. „Wieviel Prozent Liebe waren dabei oder war es reine Triebabfuhr zur Regulierung der Körpersäfte und zur Erhaltung der Art?“ Dann folgt eine Skala von 0-100.

Gerüchten zufolge wird den Kunden DER-Agentur, die einen Wert höher als 40 ankreuzen, unterstellt, dass sie glücklich sind und sie erhalten weniger Unterstützung ausbezahlt. Die Sekte der Glücklichen ist gefährlich für DIE-Agentur. Also weshalb soll M lächelnd erscheinen. Es ist bestimmt eine Falle! Wenn ich lächelnd ankomme, gehöre ich doch zu den Gl..... er traut sich schon nicht mehr, diese Wort auszudenken. Dann erhalte ich weniger Geld. Sollte ich mir lieber einen Hund anschaffen? Wenn er nicht lächelt, befolgt er die Anweisungen der Agentur nicht und erhält wohl auch weniger Geld. M´s Festplatte hängt sich in dieser Denkschleife auf. Nach einer ganzen Weile beginnt sein linker Schläfenlappen zu drücken und aus dem Sessel ertönen froschähnliche Laute.
Einer hat die Reset-Taste gedrückt. Draußen ist es inzwischen dunkel geworden.

M erhebt sich und will sein Feierabendbier öffnen. Da fällt ihm ein, dass er morgen ja drogenfrei kommen soll. Vielleicht nehmen sie ja noch eine Haarprobe vor dem Gespräch. Weshalb soll er denn drogenfrei kommen? Noch so ein seltsamer Befehl DER-Agentur. Drogen gibt es doch überall frei zu kaufen, sie bringen dem Staat eine Menge Geld ein und sie machen doch die meisten Leute so schön ruhig. Die bartstoppligen Männer, die schon morgens ihr Bier aus der Plasteflasche trinken, sind doch ganz friedliche Bürger und wenn sie abends dann vollgepisst einfach umfallen, erhält das doch Arbeitsplätze. M versteht diese Schreiben immer weniger. Was er versteht ist, das er sauber gekleidet kommen soll. Schließlich sitzt er ja auf den Stühlen DER-Agentur und er hätte kein Recht, diese zu beschmutzen. Beruhigt kann M einschlafen.

Am nächsten Morgen macht sich M auf den Weg. Er hat sich die Haare abrasiert, wo nichts ist, kann niemand eine Probe nehmen, saubere Hose, sauberes und gebügeltes Hemd. M biegt um die Ecke zu DER-Agentur und ist entsetzt. Ein kalter Schauer kriecht seinen Rücken empor, seine Kopfhaut zieht sich zusammen, seine Haare würden wie ein Igel abstehen: Die Aschenbecher vor DER-Agentur sind verschwunden, stattdessen stehen Tische mit frischen Äpfeln und Weintrauben bereit. Der Balken über der Tür DER-Agentur, unter dem sich immer alle durchbücken müssen, ist verschwunden. Im ganzen Haus klingt leise Musik. Dort, wo sonst die vielen Anzeigen hingen: „Verdienen sie nebenbei 10.000 Euro, im Monat!“ oder „Nie wieder arbeitslos“ oder „Kommen sie zu uns, WIR machen sie fertig!“ steht ein fröhlich plätschernder Brunnen. Als M wieder etwas freier atmen kann und sich sein Tunnelblick öffnet, sieht er viele Menschen blöde in die Welt gucken. Er sieht wahrscheinlich genauso aus.

Er strafft sich, kneift die Arschbacken zusammen und geht einfach durch die Tür. Plötzlich spürt er, wie sich seine Lippen zu einem Lächeln auf seinem Gesicht breiten. Er will es schon verbannen, da entdeckt er, wie auch die Frau und der Mann hinter dem Empfangstresen lächeln: Sie lächeln IHN an! „Herzlich willkommen in der Agentur für kreative Lebensgestaltung.“ M .... er wollte doch, er musste doch ...

Die Frau hinter dem Tresen sieht seine Ratlosigkeit: „Wie kann ich ihnen helfen? Haben sie Vertrauen und sprechen Sie!“ M wird mutig und stottert, dass er heute um 7.30 Uhr einen Termin bei DER-Agentur hätte, nun sei es allerdings schon 7.40. Er bäte um Entschuldigung, doch es habe ihn etwas aufgehalten. „Das macht doch nichts, das Leben hat seine eigenen Gesetze und wir wollen sie doch unterstützen, ihr Leben kreativ und erfüllend zu gestalten.“ kann M durch ein Rauschen im Ohr erahnen. Das war M zuviel und er entschließt sich, ganz langsam in sich zusammen zu sacken. Als er wieder zu sich kommt, liegt er auf dem Rücken und eine warme weiche Stimme fragt ihn, ob es ihm wieder besser gehe. M macht die Augen auf und gleich wieder zu, vorsichtshalber. Diese junge Frau war doch wirklich schön ... und sie hielt auch noch seine Hand: „Möchten Sie etwas trinken?“

M hört sich fragen: „Bin ich tot?“ Er fühlt sich ein bisschen wie im Himmel. „Ganz und gar nicht. Sie sind im Zimmer 1003 der Agentur für kreative Lebensgestaltung. Ich möchte mit ihnen besprechen, wie sie sich den Tag gestalten wollen, ihren Tag. Sie können arbeiten gehen, sie können sich um ihre Familie kümmern, im Kindergarten aushelfen. Sie können sich bei uns auch einen Garten mieten. Unsere Agentur hat ein paar Parkplätze entbetonisiert und Gärten gestaltet. Wir sind zu der Erkenntnis gekommen, dass jede Tätigkeit, die ein Mensch ausübt und der Gemeinschaft dient, insbesondere Tätigkeiten, die allen Lebewesen und den Menschen zugute kommen, geldwert sind. Sie erhalten 70 Euro am Tag, Es gibt so viel zu tun, um unsere Welt wieder freundlicher zu gestalten. Haben Sie Lust dazu?“

M wusste überhaupt nicht mehr, wo sich seine Sprache versteckt hielt. „Sie können sich bei uns auch eine Angelausrüstung oder ein Fahrrad ausleihen. Dann bekommen Sie allerdings nur 65 Euro am Tag.“ M fand seine Sprache immer noch nicht, er suchte ehrlich gesagt auch gar nicht danach. Er hörte die warme Stimme der jungen Frau: „Ich mache ihnen einen Vorschlag, gehen Sie nach Hause und überlegen Sie in Ruhe, was Sie tun wollen. Dann kommen sie unangemeldet wieder her und wir finden einen Weg. Möglichweise haben sie ja auch eine ganz neue Idee. Das ist ja das besondere an uns Menschen, dass wir phantastische Dinge denken können. Wir helfen dann bei der Umsetzung.“ Irgendwie schwebte M aus dem Haus, griff sich unterwegs noch einen Apfel und begann zu lachen. Den Menschen, denen er begegnete, kam er wohl sehr verrückt vor.

2009